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13.01.2014

Koalitionsvertrag – aus Sicht von PHYSIO-DEUTSCHLAND

Aus Sicht der Physiotherapeuten enthält der Koalitionsvertrag Ankündigungen, die den Deutschen Verband für Physiotherapie froh stimmen.

Wenn der Bundestags-Gesundheitsausschuss jetzt zügig und engagiert seine Arbeit aufnimmt, und das ist ja das Entscheidende, wird das Jahr 2014 deutlich mehr und klarere Akzente bringen als 2013. Wie in allen Wahljahren war das Jahr 2013 ein verlorenes Jahr, von daher lohnt es sich nicht zurückzuschauen. 

  • Die Maßnahmen, auf die sich die Koalition geeinigt hat, sind eindeutig nicht arztlastig. An vielen Stellen des Vertrages schimmert im Gegenteil durch, dass ein gesundes Misstrauen gegenüber den Forderungen der Ärzteschaft und deren Arbeitsabläufen besteht, sei es bei der Vergabe von Terminen bei Fachärzten, sei es bei der Qualität der Patientenversorgung ganz allgemein usw. Als Konsequenz hieraus wird den Krankenkassen die Möglichkeit gegeben, die Qualitätsverbesserung in der Patientenversorgung anhand aller ja längst vorhandener Daten auszubauen, dies im Übrigen auch im stationären Bereich.

  • Die "nicht-ärztlichen Leistungserbringer" – eigentlich ein schrecklicher Begriff, der sich aber leider eingebürgert hat – werden deutlich aufgewertet. Der Anfang ist gemacht: Qualifizierte nicht-ärztliche Gesundheitsberufe werden – wenn auch zunächst unter der Aufsicht der Ärzte – delegierte Leistungen in eigener Verantwortung erbringen; neue Formen der Substitution ärztlicher Leistungen sollen erprobt, evaluiert und je nach Ergebnis in die Regelversorgung überführt werden.

  • Die Qualität der stationären Versorgung soll über eine Reihe von finanziellen Anreizen verbessert werden. Wir erwarten deshalb, dass die stationären Einrichtungen motiviert werden, auch physiotherapeutische Stellen hinzuzusetzen: Denn in vielen Bereichen ist ein Operationserfolg nicht ohne qualifizierte Anschlussbehandlung denkbar. Der Stellenabbau im Bereich Physiotherapie hat sich als Fehler erwiesen. 

  • Die Politik fordert neue strukturierte Behandlungsprogramme z.B. für die Behandlung von Rückenleiden und gibt Patienten die Möglichkeit, unterstützt von ihrer Krankenkasse Zweitmeinungen vor bestimmten Operationen einzuholen, deren Anzahl in Deutschland auch die Politik nachdenklich gemacht hat. Die Erkenntnis, dass qualifizierte Physiotherapie so manche Operation verzichtbar macht, ist deutlichst gewachsen.

  • Der Politik geht es auch um den Abbau von Bürokratie, zumal sie – wie bei Regressen im Heilmittelbereich – die dringend notwendige Versorgung von Patienten behindert. Aber auch die Beschwerden der Heilmittelverbände bei oft willkürlichen Rezeptabsetzungen ("Retaxationen") haben die Politik erreicht. So heißt es jetzt im Koalitionsvertrag: "Unberechtigte Regressforderungen bei Retaxationen gegenüber Heilmittelerbringern wollen wir … unterbinden."

  • Vor einigen Jahren noch undenkbar ist es jetzt Wille der Koalition: Im Interesse einer optimierten Patientenbehandlung wird die elektronische Kommunikation flächendeckend und berufsübergreifend eingeführt, d.h. zwischen allen in den aktuellen Therapieprozess eingebundenen Leistungserbringern ermöglicht. Denn es geht um das Wohl des Patienten, und nicht um Standesdenken. 

  • Die Koalition will binnen eines Jahres ein Präventionsgesetz verabschieden. Wir erwarten, dass in diesem Zug auch alle steuerlichen Nachteile abgebaut werden, die für Präventionsleistungen der Physiotherapeuten zurzeit noch gelten: Maßnahmen der Sekundär- und Tertiärprävention müssen ebenso von der Umsatzsteuer befreit sein wie die Heilmitteltherapie selbst. 

  • Nicht zuletzt: Konkrete strafrechtliche Korruptionsregelungen werden in Ergänzung zu § 128 SGB V demnächst unterbinden, dass Ärzte an von ihnen verordneten Leistungen auch im Heilmittelbereich wirtschaftlich profitieren.

Entscheidend für unsere Beurteilung ist deshalb: Die Koalition hat den richtigen Kompass, es kommt nun darauf an, auch zügig und energisch den Weg in die richtige Richtung aufzunehmen. Dann wird sich auch zeigen, ob im Geiste des Koalitionsvertrages weitere Maßnahmen beschlossen werden, die im Vertrag selbst nicht konkret verankert sind. 

Uns fehlen konkrete Aussagen zu folgenden Punkten: 

  • Die Koalition fordert zwar eine Qualifizierung auch der Heilmittelberufe; es fehlt aber ein Bekenntnis zur Akademisierung. 

  • Die Koalition kündigt neue Formen der Substitution ärztlicher Leistungen an; es fehlt aber ein Bekenntnis zum Direktzugang, den das Bundesverwaltungsgericht längst über den Umweg des sektoralen Heilpraktikers für den Bereich Physiotherapie erlaubt hat. 

  • Die Koalition fordert den Abbau von Bürokratie; es fehlt aber eine konkrete Aussage zur Forderung, verbindlich eine Praxissoftware (§ 73 Abs. 8 SGB V) einzuführen, die eine heilmittelrichtlinienkonforme Verordnung sicherstellt. 

  • Auch hier nicht zuletzt: Es fehlt ein Bekenntnis zum Ost-West-Angleich bei den Heilmittelvergütungen, der überfällig ist, und zur vorbehaltlosen Abkoppelung der Heilmittelvergütungen von der Grundlohnsummenentwicklung. Gerade der Bereich Vergütung wird ein zentraler Kampfplatz in dieser Legislaturperiode sein.

Ohne eine leistungsgerechte Vergütung bleibt die notwendige Versorgungsdichte gefährdet. Wer den Mindestlohn einführt, muss auch dafür Sorge tragen, dass die staatlich geregelte Begrenzung von Vergütungserhöhungen für die Heilmittelpraxen in Deutschland entfällt.