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10.12.2013

Im Gespräch mit dem Physiotherapeuten und neuem Mitglied im Deutschen Bundestag, Dr. Roy Kühne:

Zunächst unseren herzlichsten Glückwunsch zu Ihrer Wahl in den Bundestag. Damit ist endlich ein Physiotherapeut im Deutschen Bundestag. Dabei begleiten Sie unsere besten Wünsche für Ihre Arbeit. Vielen Dank für Ihren politischen Einsatz, das ist ein gutes Signal für unseren Berufsstand. 

Ihre Tätigkeit in Berlin bedeutet nun auch eine Umstellung im Beruf. 

Ich bin seit 1990 als Physiotherapeut selbstständig. In meinem Gesundheitszentrum arbeiten zurzeit auf 1.400 qm 30 Mitarbeiter.

Damit ist Ihre Praxis deutlich größer als der Durchschnitt. Was war entscheidend für die Entwicklung zu der Größe Ihrer Praxis?

Mein Ziel war es, mich therapeutisch möglichst breit aufzustellen. Der kontinuierliche Blick über den Tellerrand zeigte mir, dass moderne Physiotherapie viel mehr beinhaltet als eine reine 1:1-Behandlung an der Bank. Es ist wichtig funktionelle Tätigkeiten des alltäglichen Lebens in die Therapie zu integrieren. Der Sportler will beispielsweise wieder seinen Sport ausüben. Es ist unsere Aufgabe, den verletzten Tennisspieler wieder an das Tennis heranzuführen. Das kann man nicht ausschließlich an der Behandlungsbank machen. Dazu gehört mehr als nur der klassische Raum mit einer klassischen Bank. 

Zum Beispiel was?

Moderne Geräte für Gerätetraining, moderne Seilzuganlagen und Funktionsräume, um nur einige Beispiele zu nennen. Mit unseren Maßnahmen möchten wir den Patienten wieder auf sein ursprüngliches Leistungsniveau zurückbringen. Bleiben wir beim Beispiel des Tennisspielers: Er hat Schmerzen beim Tennis-Training. Um die Ursache herauszufinden, müssen wir die funktionellen Abläufe in unsere Therapie mit einbeziehen. Und das geht nach meiner Erfahrung nicht in einer ganz normalen kleinen Kabine. 

Zählen zu Ihren Mitarbeitern auch für den Bereich der Physiotherapie anerkannte eingeschränkte Heilpraktiker?

Ja, ich habe eine Physiotherapeutin zur Weiterbildung geschickt. Sie ist mittlerweile Heilpraktikerin. 

Für die Berufsgruppe der Physiotherapeuten ist der Direktzugang ein ganz wichtiges Thema. Werden Sie den Direktzugang für Physiotherapeuten in Ihre politische Arbeit in Berlin einfließen lassen?

Ja, ich halte den Direktzugang für Physiotherapeuten für außerordentlich wichtig. Und das wird natürlich auch eines meiner Themen im Bundestag sein. 

Ausdrücklich ist dieses Thema im Koalitionsvertrag nicht genannt. Sehen Sie dennoch Chancen dafür, den Direktzugang in den nächsten vier Jahren zu realisieren?

Der Direktzugang für Physiotherapeuten zum Patienten ist wichtig, weil er im europäischen Ausland schon längst praktiziert wird. Qualifizierte Physiotherapeuten können im Direktzugang Patienten helfen und parallel kann dadurch das Gesundheitssystem entlastet werden.

Daraus schließen wir, dass Sie sich als Vertreter der CDU/CSU-Fraktion im Gesundheitsausschuss dem Thema Heilmittel widmen wollen?

Ja, das ist mein primäres Interesse. Ich möchte mich mit Gesundheitspolitik beschäftigen. Da ich aus dem Bereich Heilmittel komme und diesen genau kenne, möchte ich mich natürlich in diesem Bereich besonders engagieren.

Was halten Sie vom Heilmittelkatalog im jetzigen Zuschnitt? Bildet der Heilmittelkatalog noch das therapeutische Wissen ab? 

Der Heilmittelkatalog in seiner jetzigen Darstellung ist antiquiert. Was unbedingt im Heilmittelkatalog passieren muss, ist eine sinnvolle Anpassung auf moderne Therapiemöglichkeiten. Es bedarf auch quantitativer und qualitativer Veränderungen. Der Physiotherapeut von heute ist nicht mehr mit dem Krankengymnasten von vor zehn Jahren vergleichbar.

Wie kommen wir da weiter? Wären Modellvorhaben ein sinnvoller Ansatz?

Meiner Meinung nach, brauchen wir Physiotherapeuten und sogenannte Musterpraxen, mit denen man "Feldversuche" durchführen sollte. In Modellversuchen könnten Physiotherapeuten autonom und evidenzbasiert arbeiten. Die Schlussfolgerungen aus solchen Modellen, würden helfen das Potenzial der Physiotherapie darzustellen. Es geht uns um hohe Behandlungsqualität unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, also einer Entlastung des Systems.

Entlastung des Systems bei verbesserter Qualität im Interesse der Patienten. Das ist unser gemeinsames Ziel. Aus unserer Sicht, muss dem aber eine angemessene faire Vergütung gegenüberstehen. Welche Möglichkeiten sehen Sie hier? Welchen Ansatz sehen Sie, der zu leistungsgerechten Vergütungen führt und ebenso zu leistungsgerechten Gehältern in unseren Praxen?

Um die leistungsgerechte Entlohnung bei Physiotherapeuten zu erreichen, lohnt als erstes ein internationaler Vergleich, was dort auf dem Markt gezahlt wird. Das beinhaltet eine Gesamtbetrachtung des Systems dieser Länder wie zum Beispiel die Niederlande.

Dann müssen wir schauen, dass der Heilmittelkatalog entsprechend durchforstet wird. Aus meiner Sicht macht eine kleingliederige Unterteilung des Leistungskataloges Sinn, um dann auch leistungsgerecht abrechnen zu können. 

Wir setzen uns als Verband dafür ein, dass der Physiotherapeut der Zukunft freier und selbstständiger therapieren kann. Wir stehen für mehr Autonomie unseres Berufsstandes. Was halten Sie von unserer Forderung, eine Heilmittelkammer einzuführen?

Aus meiner Sicht wird sich eine Kammer für die Physiotherapeuten sehr positiv darstellen. Es wäre ein klares Bekenntnis für mehr Selbstständigkeit und Autonomie der Physiotherapeuten. Ich bin mir sicher, dass Berufsangehörige in einer Kammer erfolgreich Physiotherapeuten gegenüber der Politik und in der Öffentlichkeit vertreten würden. 

Was empfehlen Sie unseren Kollegen vor Ort, um mehr Einfluss auf die politische Entwicklung zu nehmen?

Ich empfehle allen Physiotherapeuten, selbstbewusster durch den Berufsalltag zu gehen, ihre Meinung fachlich korrekt und nachweisbar zu hinterlegen; sie brauchen sich vor niemandem zu verstecken. 

Vielen Dank für das Gespräch. Wir freuen uns auf den weiteren Austausch mit Ihnen und sind gespannt auf Ihre Berichte aus Berlin.

Ich freue mich ebenfalls auf unseren Austausch. Gerne berichte ich in Form einer Kolumne in Ihren Medien über meine Arbeit als Bundestagsabgeordneter in Berlin.

Das Gespräch führten Ute Mattfeld (Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Physiotherapie) und Heinz Christian Esser (Geschäftsführer des Deutschen Verbandes für Physiotherapie).