Fachpolitisches Gespräch mit Cem Özdemir

Cem Özdemir lud den Vorstand Dr. Claus Beyerlein und Michael Austrup von Physio Deutschland - Deutscher Verband für Physiotherapie, Regionalverband Baden-Württemberg, auf Anfrage zu einem Gespräch nach Stuttgart ein. Mit am Tisch saßen zudem Janna Ziegler und Alexander Elser (Junges Physio Deutschland Baden-Württemberg), Verbandsmitglieder Monja Sales Prado und Tim Fleiner, sowie Heike Graser und Jennifer Nordwald aus der Geschäftsstelle des Verbands.
Aktuelle Herausforderungen in der Physiotherapie
"In unserer alternden Gesellschaft werden Gesundheitsberufe zu einem zentralen Pfeiler einer wohnortnahen und zielgruppengerechten Gesundheitsversorgung“, sagte Cem Özdemir. „Mein Ziel ist deshalb: Mehr Aufmerksamkeit und bestmögliche Rahmenbedingungen für alle Gesundheitsfachberufe.“ Doch um die Rahmenbedingungen in den Praxen zu verbessern, ist, laut dem Verband Physio Deutschland, Region Baden-Württemberg, noch einiges zu tun: „Die Praxen sind voll, die Fachkräfte fehlen“, erklärte Vorstand Michael Austrup. „Das Berufsgesetz ist veraltet, durch das hohe Schulgeld wirkt der Beruf für junge Menschen unattraktiv.“ Der Verband Physio Deutschland setzt sich seit Jahren für eine Schulgeldfreiheit ein. Außerdem fordern sie, eine Novellierung des seit dreißig Jahren bestehenden Berufsgesetzes. Langfristig solle die Physiotherapie akademisiert werden.
Özdemir möchte Ausbau der Akademisierung voranbringen
Die Regierung hat in den letzten Jahren die Akademisierung in der Physiotherapie schon vorangetrieben. Doch bisher sind die angestrebten 15 bis 20 Prozent an Studienplätzen noch nicht umgesetzt. Auch ist eine Promotion in Physiotherapie in Baden-Württemberg nicht möglich, hier müssen die Studierende beispielsweise nach Niedersachsen. Ohne eine Akademisierung der Physiotherapie ist eine systematische Forschung kaum möglich, denn wissenschaftliche Methoden und Studienkompetenz werden erst auf Hochschulniveau vermittelt. „Ein Fokus liegt jetzt, neben dem Aufbau weiterer Studienplätze, insbesondere auf dem Ausbau von Masterstudienplätzen. Der Masterabschluss ist die Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere“, bestätigte Özdemir. „Und klar ist: Ohne wissenschaftliches Personal, keine weitere Akademisierung. Es geht auch darum, den Beruf für neue Zielgruppen attraktiv zu machen.“
Physiotherapie im internationalen Vergleich
Auch ein Blick über die Landesgrenze hinaus zeigt, dass Deutschland noch einiges zu tun hat: „Gutes Vorbild ist hier Skandinavien. Die Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen verfügen über akademische Abschlüsse bis zum Master, können eigenständig Behandlungen planen und setzen stark auf wissenschaftlich fundierte, evidenzbasierte Praxis“, berichtet Dr. Claus Beyerlein. „In vielen Ländern haben Physiotherapeut*innen einen Masterabschluss und damit auch viel mehr Eigenverantwortung.“ Die Eigenverantwortung sei ein wichtiger Punkt, denn Ziel von Physio Deutschland sei es den Direktzugang zum Physiotherapeuten zu fördern – hier solle es keine Umwege über Hausärzte geben und die behandelnde Physiotherapeutin oder der behandelte Physiotherapeut sollten entscheiden dürfen, ob Physiotherapie indiziert ist und wie das weitere Therapiemanagement anschließend aussieht. Die seit einem Jahr praktizierte Blankoverordnung zeigt, wie Physiotherapeut*innen Schulterbehandlungen eigenständig abgeben können und dadurch bereits heute mehr Verantwortung übernehmen.
Unterstützung bei der Einstellung ausländischer Fachkräfte
Wie bei vielen anderen Branchen auch, hofft man auf Fachkräfte aus dem Ausland. „Ausländische Fachkräfte einzustellen ist schwierig und unnötig bürokratisch“, berichtet Vorstand Michael Austrup. „Oft kommen besser ausgebildete Physiotherapeut*innen mit Masterabschluss nach Deutschland und dürfen hier nicht praktizieren, weil sie noch Massagestunden nachholen müssen – die so im Praxisalltag gar nicht mehr stattfinden.“ Cem Özdemir möchte die Anerkennung ausländischer Physiotherapeut*innen erleichtern: „Mit der Einrichtung der Landesagentur für Zuwanderung von Fachkräften haben wir einen großen Schritt in Richtung schnellere und einfachere Anerkennungsverfahren gemacht. Da müssen wir dranbleiben. Außerdem werben wir beim Bund weiter dafür, dass die Schulgeldfreiheit und Ausbildungsvergütung kommen."
„Wir freuen uns, dass Cem Özdemir sich die Zeit für uns genommen hat und unsere Anliegen ein offenes Ohr geschenkt hat“, berichtet der Vorstand im Nachhinein. Für Physio Deutschland Baden-Württemberg stehen noch weitere Gespräche vor der Landtagswahl mit Politikerinnen und Politikern von CDU und FDP an.