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07.12.2018

Spahn konkret: Wie viel mehr Behandlungsfreiheit bringt die Blankoverordnung?

Ja zur Blankoverordnung, nein zum Direktzugang! Schon in den ersten Gesprächen machte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn diese Position gegenüber den Heilmittelverbänden deutlich. Bis März 2020 sollen nun zwischen dem Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV) und dem GKV-Spitzenverband Indikationen vereinbart werden, bei denen regelhaft die Blankoverordnung angewendet wird. Andrea Rädlein, Vorsitzende von PHYSIO-DEUTSCHLAND kommentiert die Einzelheiten des Gesetzentwurfs.

PHYSIO-DEUTSCHLAND: Frau Rädlein, die Blankoverordnung könnte man auch als „Direktzugang light“ betrachten. Wie stehen Sie grundsätzlich zu diesem Thema?

Andrea Rädlein: „Die Blankoverordnung ist eine Kompromisslösung. Der Arzt entscheidet weiterhin, ob der Patient physiotherapeutisch behandelt wird, der Therapeut entscheidet bei ausgewählten Diagnosen zukünftig darüber mit welchem Heilmittel, in welcher Frequenz und wie lange der Patient behandelt wird. Die Richtung stimmt also schon mal. Trotzdem bin ich überzeugt, dass der Direktzugang die bessere Wahl gewesen wäre. Aber es hat sich früh abgezeichnet, dass der Minister in Sachen Modellvorhaben Direktzugang zurückhaltend agieren wird. Deshalb sehen wir die Vorschläge von Jens Spahn jetzt erstmal als Chance.“


PHYSIO-DEUTSCHLAND: Das klingt vielversprechend. Wo genau sehen Sie die Chancen der aktuell vorgeschlagenen Blankoverordnung?

Andrea Rädlein: „Die Blankoverordnung wird die Verantwortung der Therapeuten im Behandlungsverlauf erhöhen. Das wird den Patienten zu Gute kommen. Viele Kollegen berichten uns heute, dass sie sich von der fixen Vorgaben einer Verordnung eingeschränkt fühlen. Mit der Möglichkeit,  über die Art der Therapie, die Dauer der Behandlung und die Frequenz der Behandlung zu entscheiden und diese individuell an den Behandlungsbedarf des Patienten anzupassen, werden wir den Patienten deutlich effektiver therapieren können.
Denn das bedeutet, dass wir  in der Akutphase häufiger behandeln können, als das heute der Fall ist. Gleichzeitig können wir nachhaltiger arbeiten, da wir über die Frequenzsteuerung auch einen längeren Behandlungsverlauf begleiten. So könnten wir z.B. den Patienten zum Abschluss der Behandlung nach 4 Wochen noch einmal einbestellen, um den Status zu kontrollieren. Für uns ganz entscheidend ist außerdem, dass wir in jedem Fall selbst entscheiden was die richtige Therapiemaßnahme für den Patienten ist. Selbstverständlich müssen wir dabei das medizinisch Notwendige und die damit verbundenen Ausgaben im Blick haben.


PHYSIO-DEUTSCHLAND:
Welche Risiken sehen Sie bei den aktuellen Vorschlägen?

Andrea Rädlein:
„Es wird eine Herausforderung für unsere Praxen werden, künftig zwei Systeme zu bedienen. Einmal die Regelversorgung mit vom Arzt ausgestellten Verordnungen und zusätzlich die Blankoverordnung, die nur bei bestimmten Indikationen gelten soll. Da wäre es mir lieber gewesen, einmal einen Schlussstrich zu ziehen und künftig alle Patienten direkt und eigenverantwortlich behandeln zu können. Aber wie gesagt, wir müssen es als Chance sehen. Unsere Kollegen sind in der Lage, eigenständig, fachlich korrekt und wirtschaftlich zu behandeln und das werden wir jetzt auch beweisen! Wir müssen vor allem sicherstellen, dass der Therapeut für seine Leistungen entsprechende Zahlungen von den Kostenträgern erhält. Daher ist das Thema Menge ein Aspekt, der mit den Krankenkassen zu diskutieren sein wird. Die Blankoverordnung darf kein finanzielles Risiko für unsere Praxen werden!“


PHYSIO-DEUTSCHLAND:
Ist denn schon klar, für welche Indikationen die Blankoverordnung kommt?

Andrea Rädlein:
„Nein, da ist noch nichts festgelegt, dazu werden wir uns mit den anderen physiotherapeutischen Verbänden im SHV abstimmen und das Gespräch mit dem GKV-Spitzenverband suchen. Wir sollten dabei berücksichtigen, dass möglichst alle Therapiebereiche mit abgebildet werden und auch interdisziplinär mit anderen Heilmittelberufen zusammengearbeitet wird. Eines ist sicher: wir haben hier eine riesige Chance, die Versorgung der Patienten zu optimieren. Dies muss gut vorbereitet werden, um den nächsten Schritt, den Schritt zum Direktzugang folgerichtig zu sichern. Das Gesetz wird am 13. Dezember 2018 im Bundestag diskutiert und wir werden am 16. Januar 2019 dazu im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages noch angehört. Aber eines steht für mich fest: wir als Branche können auf die Entwicklungen des Jahres 2018 sehr stolz sein. Als Verbände haben wir seit Jahren konsequent dicke Bretter in der Politik gebohrt, unsere Anliegen vorgetragen und Lösungsvorschläge unterbreitet. Die Proteste der Basis waren der letzte Tropfen auf dem ohnehin schon heißen Stein, der einen Großteil unserer Vorschläge nun Wirklichkeit werden lässt.“


In einer Infografik, die sie hier downloaden können, finden Sie eine Übersicht über Blankoverordnung und Direktzugang. Am Montag setzen wir unsere Artikelserie mit Informationen über die kommenden bürokratischen Entlastungen fort.